… und dennoch mussten wir weiter. Unser Trinkwasser ging in der glühenden Sonne rasend schnell zur Neige und auf der Kette flacher Sandbänke und Korallenriffe fand sich kaum Schatten spendendes Grün. Die einzige Hoffnung war dieser dunkle Schatten einer bergigen Insel, der hinter dem Horizont aufragte. Da wir lange Strecken zwischen den spärlich bewachsenen Inseln nur bei Ebbe überqueren konnten, verbrannte die Sonne unsere salzverkrusteten Körper während die messerscharfen Korallen erst unser Schuhwerk und dann unsere Fußsohlen zerschnitten. Zuerst hatten wir noch versucht, während der sternhellen Nächte zu wandern, doch nur allzu leicht übersah man dabei einen der giftigen Seeigel oder trat gar in einen der vielen kleinen Tümpel, in denen oft die ebenso kleinen wie tödlichen Seeschlangen auf die nächste Flut warteten. Außerdem brachte die Nacht regelmäßig Schwärme riesiger Quallen an die Meeresoberfläche, die ihrerseits hungrige Jäger in Gestalt der pfeilschnellen Tigerkraken anlockten! So verloren wir wohl mehr als dreißig Mann in den nur fünf Tagen und Nächten, während der wir dem langsam größer werdenden Schatten am südlichen Horizont immer weiter entgegen zogen. Endlich erreichten wir den Rand des Korallenriffs – und vor uns erhob sich ein gewaltiger, von dichtem Grün bewachsener Berg aus den Fluten. Wir dachten uns zunächst nichts angesichts der bizarr verwinkelten Formen der Insel, doch um sie zu erreichen, hätten wir bei Flut gewiss noch gute vier Verst schwimmen müssen, was für die meisten den sicheren Tod bedeutet hätte. Also warteten wir auf Niedrigwasser – und tatsächlich trennte uns bei tiefster Ebbe nur noch ein schmaler Kanal von gerade einem halben Verst Breite vom rettenden Ufer der Insel. Vor allem aber enthüllten die zurückweichenden Fluten ein verwinkeltes Labyrinth von Kanälen, die nichts anderes waren als die Ruinen einer längst versunkenen Stadt voller mächtiger Gebäude und breiter Straßen. Erst da begriff ich, dass der enorme Inselberg vor uns nichts anderes sein konnte als eine Art riesiger Stufentempel, den Wind und Wetter zwar durch die Jahrtausende fast bis zur Unkenntlichkeit verformt hatten und auf dem ein ganzer Wald wie eine grüne Maske gewachsen war, der es aber an schierer Größe selbst mit den majestätischen Kuppeln und Türmen des imperialen Palastes aufnehmen konnte!
Lesbarer Abschnitt aus dem antiken Tagebuch von Tawud Nuraz, Käpitän aus Manto und Begründer der Händlerdynastie der Nurazzi
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