Stimmen des Imperiums
„…das schaffen wir. Sollte es uns auch nur gelingen, wenigstens etwas von dieser bizarren Kleidung zu finden, so ist uns ein neuer Rang so gut wie sicher – und mein Großonkel verdankte damals sogar seinen Meistergrad nur den Stiefeln und dem Wanderstab eines solchen Subjekts! Und hör auf, die Annihilation des westlichen Analyseturms nur diesem gläsernen Stab anzulasten: der Laborleiter…“
Jung-Technosoph Keldroon Brylech zu seinen Freunden Uches Zukiim und Vara On Sebem, kurz vor ihrem Aufbruch nach Elpis
Wer über das staubige Band der berühmten Blauen Straße nach Elpis reist, den führt sein Weg oft über viele Tage durch eines der einsamsten Gebiete des Imperiums. Dieses bildet den Übergang vom Ostrand der Wüste Aerg zu den nördlichen Ausläufern der Hemeren, einem Landstrich, der im Volksmund auch gern als Scherbenwüste bezeichnet wird. Der Name bezieht sich wahrscheinlich auf die vielen verlassenen kleinen Dörfer und Städte entlang der Blauen Straße, von welchen meist nur noch von Dünen bedeckte und vom Wind abgeschliffene Ruinen zu erkennen sind. In früheren Jahrhunderten soll der Sand in und um diese Trümmerlandschaften voller Bruchstücke und Scherben zerstörter Alltagsgegenstände der ehemaligen Bewohner gewesen sein – und hier und dort gehörten dazu auch alte Münzen und Überreste von Schmuckstücken aller Art. Damals sollen Reisende regelmäßig die Straße verlassen haben, um mit Harken, Schaufeln und Sieben bewaffnet den Sand nach möglichen Wertgegenständen zu durchsuchen, doch glaubt man den erfahrenen Karawanenführern, so lohnt sich dies schon lange nicht mehr. Heute ist es nur noch ein beliebter Scherz in den Karawanen, unerfahrene Mitreisende während ihrer ersten Durchquerung der Scherbenwüste mit einer Harke und einem Sack bewaffnet auf eine „Schatzjagd“ in die umliegenden Dünen zu schicken. Eben solchen Neulingen wird auch gern eine der vielen Schauergeschichten über die sogenannte „Stadt im Sturm“ erzählt. Dabei geht es stets um ein merkwürdiges, möglicherweise sogar übernatürliches Wetterphänomen, das angeblich nur hier in der Scherbenwüste auftritt: während eines scheinbar ganz gewöhnlichen Sandsturms, wie er in dieser Gegend jederzeit entstehen kann, lässt der Wind plötzlich nach und gibt den Blick auf die Silhouette einer kleinen Stadt frei, die meist nur einige Verst entfernt zu liegen scheint. Diese Stadt wirkt völlig unbeschädigt und ist voller eleganter Kuppelbauten und Türme, doch der nie ganz verschwindende Schleier aus Sand und Wind lässt keinen klaren Blick auf Einzelheiten zu. In manchen Geschichten ist dennoch die Rede von belebten Straßen oder Plätzen – in anderen wird allerdings auch von den schemenhaften Umrissen offenbar nicht-menschlicher Wesen erzählt, die auf Dachterrassen, Balkonen oder inmitten menschlich wirkender Passanten auf den Straßen der Stadt zu sehen sind…
Schriften des Imperiums
…und wie auf jeder seiner Reisen zuvor erschien auch diesmal wieder der Sturm – und mit ihm die geheimnisvolle Stadt. Obwohl sein Oheim ihn gewarnt hatte, versuchte der junge Kaufmann erneut über die Dünen zum Rand der Stadt zu gelangen – und wieder erblickte er den schlanken Schatten einer Frau, die ihm zuwinkte, als ob sie ihn heran bitten würde. Da hörte er hinter sich die warnenden Rufe seines Oheims, der ihm aus dem Lager der Karawane gefolgt war, um ihn zurück zu holen! Im selben Moment aber schien der Sturm fast ganz zu verstummen und unter dem Sand erschien eine Straße, die in die Stadt zu führen schien. Also rannte der junge Kaufmann los – und sein Oheim sah nur noch, wie sich ein dichter Vorhang aus Sand hinter dem törichten Neffen schloss. Den Neffen sah man nie wieder. Noch auf dem Sterbebett aber sprach der Oheim von dem furchtbaren Lachen, welches sein Ohr noch erreichte bevor der Sturm die Stadt endgültig wieder mit sich nahm…
Aus der Geschichte vom Verliebten Kaufmann und der Stimme im Sturm
Vielleicht noch merkwürdiger als die Legenden über diese seltsame Geisterstadt sind aber die immer wieder auftauchenden Berichte über geheimnisvolle Reisende, welche den Eindruck erwecken, aus genau dieser Stadt zu kommen! Solche Reisenden wurden angeblich sogar schon in Elpis gesichtet, auch wenn sie wohl weit häufiger auf der Blauen Straße selbst oder in einer der wenigen angrenzenden noch bewohnten Siedlungen in Erscheinung treten. In allen Fällen wird erzählt, dass die Fremden durch ihre seltsame Kleidung und ihren kaum verständlichen Dialekt auffielen. Die Kleidung soll dabei ungewöhnlich bunt und unangemessen warm gewesen sein, so dass die stark schwitzenden Reisenden meist einzelne Kleidungsstücke ablegten oder sogar gegen normale Kleidung eintauschten. Ihr Dialekt hingegen wird in einigen Geschichten als schlicht unverständlich oder barbarisch beschrieben, während andere behaupten, es handele sich um den kindischen Versuch eines Hochstaplers, durch besonders verstiegene Satzbauten und abstruse Wortwahl und Aussprache die Hochsprache eines Adligen vorzutäuschen! Was diese Geschichten aber von anderen Gerüchten dieser Art abzuheben scheint, ist das Gewicht, welches gewisse „offizielle“ Stellen dem Thema offenbar zuweisen. Insbesondere aus den Reihen der Gilde der Technosophen tauchen immer wieder einmal glaubwürdige Berichte über kleine Expeditionen auf, die entlang der Blauen Straße und in den Dünen der Scherbenwüste nach Spuren dieser Fremden und ihrer mysteriösen Heimatstadt suchen. Der Grund dafür dürften die vielfältigen Anekdoten sein, in denen Geschenke oder Tauschgaben dieser Reisenden erwähnt werden, welche durch irgendwelche übernatürlichen Eigenschaften plötzlich Glück oder Unglück über die unwissenden neuen Besitzer bringen. Dies reicht allerdings wohl nicht aus, um zu erklären, warum alle paar Jahre wieder lebhafte Gerüchte durch das Kernland ziehen, laut denen hochrangige Agenten, die Flure des Copal verlassen haben, um nun in ziviler Verkleidung einen oder sogar mehrere dieser exotischen Reisenden zu jagen! Ob eine solche Jagd bisher jemals Erfolg hatte, gilt als zweifelhaft, aber die tödliche Entschlossenheit und Rücksichtslosigkeit der besagten Agenten wird umso häufiger warnend erwähnt…
Schriften des Imperiums
…was die Theorien der daemonologischen Sektion von einer paradimensionalen Instabilität entkräften dürfte. Weitere Hinweise deuten jedoch auf die Präsenz eines prä-imperialen technosophischen Effekts und die damit verbundene Existenz eines Reliktes der Kategorie P3 hin! Dieses wäre zwar in der fraglichen Phase des Bürgerkrieges längst nicht mehr reproduzierbar, sehr wohl aber programmierbar gewesen – mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit jenseits von 875 Promille. Der Schutzfaktor der genutzten Defensivgeneratoren ist offenbar nur räumlich absolut. Welche der nur namentlich bekannten Varianten hier vorliegen könnte aber nur durch Offenlegung und anschließende Analyse der Historischen Geheimakten zu Kriegsabschnitt 4 und 5 geklärt werden. Wir bitten also um eine Kontaktgenehmigung mit der Aufsichtsabteilung der Schweigenden Kammern, gemäß dem Ritual der Vergessenheit und laut §§37-39 des…“
Eintrag 7329b, Sammlung interner Berichte und Anweisungen der Türme des Phoenix, Jahrgänge 1950-1999 der Ära des Golden Rates, Geheimarchiv des Copal
Mögliche Aspekte
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