Die Fragmente

Fragmente: Die Legende von der Baltzer-Bruderschaft

Jeder Kulturkreis hat seine mythischen Helden – aber auch
seine legendären Bösewichte. Den Waismärkern gilt der Fürsten
Baltzer als wohl verachtungswürdigste Gestalt ihrer Mythologie.
Sein Name steht wie kein anderer für Verstocktheit, Verrat und
cholerische Grausamkeit. Der Sage nach wurden die drei Götter der
Trisantenheit vor der Gründung der Kirche in drei verschiedenen
Kulten getrennt voneinander verehrt. Die Kulte unter der Führung
der drei legendären Geschwister Eural, Bherren und Jacha bekriegten
sich über die Frage, welche der drei Gottheiten die wahre wäre bis
aufs Blut. Eural diente dem Vater, Bherren diente der Mutter und
die Priesterin Jacha verehrte mit ihrem Kult den Sohn. Die
mythologischen Kultkriege kulminierten schließlich in der epischen
„Offenbarungsschlacht“ auf dem heutigen Anghold. Die Armeen aller
drei Kulte trafen in einem wahrhaft apokalyptischen Gefecht
aufeinander, in dem auf jeder Seite, glaubt man den Legenden, mehr
Ritter kämpften als die Waismark heutzutage Einwohner hat. Es wäre
wohl zur Katastrophe gekommen, hätten nicht die Götter selbst
eingegriffen und den drei Kultführern die „Offenbarung der drei
Wahrheiten“ überbracht, die zum Grundstock des späteren Librams
werden sollte. Die Armeen der drei Kulte legten die Waffen nieder
und die größte Schlacht aller Zeiten wandelte sich zum größten
Friedenschluss in der Geschichte der Mark. Dieses Ereignis wird
heute jedes Jahr als „Offenbarungstag“ gefeiert und ist der höchste
trisantische Feiertag. Der Tag nach der Schlacht wurde allerdings
von einer finsteren Mordtat überschattet. Fürst Baltzer, ein
Gefolgsmann Jachas, hatte so sehr damit gerechnet, in der Schlacht
reiche Beute zu machen, dass ihm der Friedensschluss nicht
schmecken sollte. Er fühlte sich um sein Plündergut verraten. Auch
darüber, dass er neben Lugar nun auch Brigidan und Araven verehren
sollte, entbrannte er in Wut. Als sich Jacha bei der Morgenandacht
zu den Gläubigen aller drei Kulte umwandte, um gemeinsam mit Eural
und Bherren zu ihnen zu predigen, sah Baltzer seine Chance
gekommen. Er erschlug sie hinterrücks mit seinem Morgenstern. So
wurde Jacha die erste trisantische Märtyrerin. Es oblag Eural und
Bherren allein, den wahren Glauben an alle drei Götter zu
verkünden. Baltzer wurde erfasst und für seine grausame Tat der
Länge nach in drei Teile geschnitten, die an drei verschiedenen
Orten der Waismark vergraben wurden. Seine Seele aber soll von den
Göttern zu ewiger Ruhelosigkeit verdammt worden sein. Ursprünglich
war Baltzer nur eine Nebenfigur des trisantischen Gründungsmythos.
Außer seiner Mordtat war nicht viel über ihn überliefert. Im Laufe
der Zeit wurde seine Geschichte jedoch ausgeschmückt und man
schrieb im immer neue Schlechtigkeiten und Untaten zu, die er teils
zu Lebzeiten, teils als böser Geist begangen haben soll. Die
Baltzersage war auch Ursprung einiger weit verbreiteter Sitten und
Gebräuche der Waismark. Heimtückischen Verrat bezeichnet man
zuweilen als „Baltzerei“ und Verräter als „Baltzerkumpan“. In
einigen Gegenden ist es verpönt den Namen „Baltzer“ auszusprechen,
da dies angeblich den Geist des legendären Übeltäters herbeirufen
könne. Man spricht nur von „DEM Verräter“. Fromme Ritter scheuen
den Gebrauch des Morgensterns, da er als Waffe Baltzers einen üblen
Leumund hat. In weiten Teilen der Mark ist es üblich, beim
Offenbarungstags-Gottesdienst ein „Spuckbild“ mit dem Konterfei
Baltzers an der Kirchentür aufzustellen, damit die Gläubigen es
beim Verlassen der Kirche anspucken können. Bei lithurgischen
Theaterspielen ist es üblich, nur vom Mord an Jacha zu berichten,
ihn aber nicht als Spielszene nachzustellen. Zu groß wäre die
Gefahr, dass der Darsteller des Baltzer schon während der
Vorstellung vom Publikum verprügelt werden würde. Bei diesen
kleinen Dingen handelt es sich nur um harmlosen Aberglauben.
Schwerwiegender ist der weit verbreitete Glaube, Baltzers
Gefolgsleute seien nach seiner Hinrichtung in den Untergrund
gegangen und hätten eine gefährliche Geheimbruderschaft gegründet.
Diese habe sich zum Ziel gesetzt, Verderben über alle guten und
frommen Trisanten zu bringen! Überall, so glaubt man, könnten sich
Anhänger der finsteren Baltzer-Bruderschaft verbergen. Man kreidet
ihnen Ritualmorde, Seuchenverbreitung, Entführungen,
Kirchenschändungen, Viehverstümmelungen, Verursachen von Impotenz
und andere unaufgeklärte (oder eingebildete) Schandtaten an.
Baltzer, so glauben viele Waismärker, sei nach seinem Tode zu den
Mächten der Hölle übergelaufen und zuständig für so ziemlich alles,
was dem gemeinen Volk teuflisch vorkommt. In aller Regel vermischt
der Volksglaube dabei die Baltzerlegende mit dem Wenigen, was
Außenstehende über die Kultisten der älteren Götter, den Glauben
der Lytaen oder die ghorgardischen Dryweden wissen. So entstehen
absurde Märchenkonstrukte, die mit der Realität nur selten etwas zu
tun haben. Weder spielt Baltzer für die Anhänger der alten Götter
irgend eine Rolle, noch ist die Gestalt den Lytaen bekannt. Über
die Untaten der Baltzer-Bruderschaft hört man aller Orten die
grausigsten Geschichten, wenn es aber darum geht, handfeste Fakten
über den vermeintlichen Kult zu sammeln, werden die Dinge äußerst
nebulös. Die Zaetoren kamen nach Jahrhunderten der Ermittlung
schließlich zu dem Schluss, dass die Baltzer-Bruderschaft eine
reine Legende ist – ohne jede Grundlage, entstanden aus Aberglaube
und Verfolgungswahn. Die einfachen Waismärker schließen aus dem
Faktenmangel nicht, dass die Baltzer-Bruderschaft nicht existieren
würde. Sie stufen die Bruderschaft als umso größere Gefahr ein!
Wenn sie sich so gut verbergen kann, muss sie wahrhaft mächtig
sein! Man glaubt, Baltzer-Anhänger an gewissen, geheimen Zeichen
erkennen zu können. Mal tragen sie Ringe an einem bestimmten
Finger, mal fehlt ihnen ein Fingerglied und mal haben sie eine
Narbe an einer bestimmten Seite des Gesichtes. Auch das Tragen
einer bestimmten Anzahl von Zöpfen im Bart wird manchmal als
Erkennungszeichen der Baltzer-Brüder gewertet. Diese „geheimen
Erkennungszeichen“ variieren von Landstrich zu Landstrich. Wenn man
bei Überlandreisen in irgend einem Weiler nicht ins Gasthaus
gelassen oder beim Überqueren der Dorfgrenze sofort verprügelt
wird, könnte es sein dass man unwissentlich ein „Baltzerzeichen“
trug. Uneins ist der Aberglaube über die Frage, ob die Anhänger der
Baltzer-Bruderschaft zaubern können. In den meisten Fällen sind sie
„nur“ ein verbrecherischer Geheimbund, der Schuld an Mord,
Diebstahl und Steuererhöhungen ist, in anderen Erzählungen sind sie
die mächtigsten Hexenmeister, die man sich nur vorstellen kann. Der
Glaube an die Existenz der Baltzer-Bruderschaft hat in der
Geschichte der Waismark schon so manche Tragödie ausgelöst. Wohl
Hunderte wurden über etliche Jahrzehnte von Dorftribunalen und
überforderten Landbütteln unschuldig verurteilt, weil man ihnen
vorwarf, zu einer sehr wahrscheinlich fiktiven Geheimorganisation
zu gehören. Der dem Baltzerglaube zugrundeliegende Verfolgungswahn
hat Familien zerrüttet, Dorffehden verursacht und Unfrieden
gestiftet. Seine grausigsten Auswirkungen hatte der Irrglaube vor
17 Jahren in Paym, als eine besonders ansteckende Form der Maul-
und Klauenseuche große Mengen des Viehbestands dahinraffte. Man
glaubte weithin, die Baltzer-Bruderschaft sei für das Viehsterben
verantwortlich und umgehend begann das große, gegenseitige
Beschuldigen. Bald kam zum Vieh- also noch das Menschensterben.
Halbe Weiler wurden exekutiert, weil die planlose Strafverfolgung
der örtlichen Ritterschaft und die panischen Schuldzuweisungen
vollkommen aus dem Ruder liefen. Zwar flaute der Irrsinn nach drei
Jahren langsam ab, aber viele Dörfer tragen heute noch Narben des
chaotischen Mordens. Der Kirche ist der Baltzer-Glaube mittlerweile
ein arger Dorn im Auge. Es ist zwar löblich, dass Bauern und
Dörfler eine gesunde Abneigung gegen Teuflisches und Heidnisches
hegen, aber dass sie sich in eine Wahnidee steigern, die ganze
Gemeinden zersplittern kann, ist weniger gut. Darüber hinaus
besteht die Gefahr, dass diejenigen die sich zu sehr auf das
Baltzermärchen konzentrieren, die wahrhaftig existierenden Mächte
der Finsternis aus den Augen verlieren. Die Angst vor der
Bruderschaft einzudämmen, scheint aber schwerer zu sein als
renitente Heiden zum wahren Glauben zu bekehren. Die Erfolge der
Laektoren halten sich starken Grenzen. Im Gegenteil – die Kleriker,
die zu lautstark gepredigt haben, dass die Baltzer-Bruderschaft nur
eine Mär sind, werden stets beschuldigt, selbst Baltzer-Brüder zu
sein.

Aspekte:

  • Der Name des Bösen
  • Sie könnten überall sein!!
  • Lieber den Falschen als keinen.
  • Die Mächte der Dummheit

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