Die Fragmente

Malmsturm – Die Fragmente: Die Bruderschaft der kosmischen Flamme von Achernar

Man sagt nicht ganz zu unrecht, es gäbe in den Städten des Imperiums mehr Kulte als Sterne am Himmel. Nur selten kommt es vor, dass einer davon die Obrigkeit sonderlich interessiert. Wer brav das Haupt vor dem Kaiser verneigt und die Ordnung der imperialen Strata nicht antastet, kann hinter verschlossenen Tempeltüren praktisch treiben, was immer ihm beliebt. Einige Kulte jedoch bereiten den hohen Herren des Imperiums Kopfzerbrechen – so wie der neue Kult, der sich jüngst in Pandia, der Stadt der Astronomen durch seine absonderlichen Umtriebe hervorgetan hat. „Die Bruderschaft der kosmischen Flamme von Achernar“ nennt sich die Organisation, die sich binnen kürzester Zeit zu den größten und wichtigsten Kulten der Stadt entwickelt hat. Und schon bald, so befürchtet man in Adelskreisen, wird die Bruderschaft auch reichssweit stark an Bedeutung gewinnen, denn unlängst haben Missionare der kosmischen Flamme Missionare in die anderen Metrolpolen entsandt, um dort Anhänger zu sammeln. Die Bruderschaft wurde von dem legendären Erzmagier Sidhor Nython aus dem noblen Hause der Sarssamiden gegründet – oder zumindest von jemandem, der behauptet, Sidhor Nythor aus dem noblen Hause der Sarssamiden zu sein. Sidhor war, bis zu seiner mutmaßlichen Widerkunft, eine bekannte historische Gestalt aus der Geschichte Pandias. Vor etwas mehr als fünf Jahrhunderten galt er als einer der mächtigsten Magier des Imperiums. An magischer Macht soll Sidhon seinerzeit sogar den damaligen Imperator übertroffen haben und die Wunder, die man ihm zuschreibt, sind Legion. Einige seiner astrologischen Abhandlungen über die zyklischen Bahnverschiebungen der Dunklen Monde sind heute noch Standardwerke der imperialen Wissenschaft. Viele seiner Werke aber sind so komplex und esoterisch, dass sie auch von den besten Magiern kaum verstanden werden. Eines Nachts soll Sidhon dann von der höchsten Spitze seines Turmpalastes in einem grellen Lichtblitz verschwunden sein. Die meisten gingen davon aus, dass Sidhon sich bei irgend einem Experiment selbst eingeäschert habe. Aber es verstummten niemals die Stimmen derer, die behaupteten, Sidhon habe den Weg in irgend eine jenseitige Sphäre gefunden und würde dereinst von dort zurückkehren.  Auf den Tag genau vor drei Jahren schließlich beobachtete man einen Meteor, der nur zweieinhalb Tagesreisen nördlich der Stadt niederging. Der Krater war, wie man feststellen musste, leer, jedoch betrat nur wenig später eine seltsame, von Kopf bis Fuß in quecksilberartiges Tuch gehüllte Gestalt die Stadt. Der Fremde behauptete allen Ernstes, Sidhor Nython zu sein. Er habe vor 500 Jahren entdeckt, wie man sich in pures Licht verwandeln könne und seither sei er zwischen den Sternen umhergewandelt. Was er aber durch die Worte einer kosmischen Flamme vom Sterne Achernar (einem im Imperium als heilig verehrten Himmelskörper*) erfahren habe, sei so wichtig für die Belange der Menschheit, dass er in die Erdensphäre zurückgekehrt sei. Zunächst lachte man natürlich über den wunderlichen Wanderer. Als er sich dann aber daran machte, seine Identität dadurch zu beweisen, dass er 500 Jahre alte Familiengeheimnisse der Sarssamiden preisgab und ein magisches Wissen offenbarte, wie es nur ein wahrer Erzmagier haben kann, verstummte das Gelächter. Nach einem etwa ein Jahr dauernden Rechtsstreit nahm Sidhor wieder seinen Turm sowie einen Teil des sarssamidischen Vermögens in Besitz und begann zu predigen. Und er predigte wahrlich Absonderliches. Jeder, so sprach er, trage einen Funken der kosmischen Schöpfungsenergie in sich – ganz gleich, ob er von edlem Blut sei oder nur eine niedrige Irrform. Daher könne auch jeder wahre Erleuchtung erfahren, wenn er nur seine innere Flamme durch gute Taten und edle Gesinnung nähre. Im Grunde seien alle Menschen durch die innere Flamme verbunden und somit Brüder. Darüber hinaus seien selbst die Götter nur Teil der aus sich selbst heraus entstandenen Schöpfung und verfügten nur über einen größeren Energiefunken als Menschen. Wer seinen Funken in besonderem Maße vergrößere oder mit anderen Zusammen eine größere „Flamme“ bilde, könne gleichsam selbst zu einem Gott werden.

Diese recht einfache Botschaft kleidete er in ein überaus komplexes Gewand aus philosophischen Sinnsprüchen, astrologischen Kalendarien und gymnastischen Übungen, die der geistigen Gesundheit zuträglich seien. Unter den Armen und Geknechteten der Stadt verbreitete sich diese Botschaft wie ein Lauffeuer. Und da Sidhor seine Predigten mit großzügigen Armenspeisungen verband, umfasste der Kult bald eine große Menge an Leuten. Doch nicht nur in der Unterschicht hat der Kult Anhänger – Möchtegernrevolutionäre aus den mittleren Schichten, an den astrologischen Geheimnissen des Sidhor interessierte Adelige und verschrobene Sozialromantiker treffen sich einhellig in den Hallen der Sekte um an für imperiale Maßstäbe seltsam sittsamen Ritualen beizuwohnen. Innerhalb des Kultes herrscht eine ungewohnte Brüderlichkeit – Selbst Irrform und Edler speisen gemeinsam, grad so als wären sie vom selben Stande!
Kein Wunder, dass dieses große Maß an egalitärem Gedankengut den Adeligen Pandias unheimlich wird. Nicht ganz zu Unrecht vermuten sie in der Bruderschaft der Kosmischen Flamme eine Gefahr für die eherne Ordnung des Imperiums. Noch hat der Kaiser im fernen Lyssa noch kein Machtwort gegen die Bruderschaft gesprochen, doch man hofft darauf, dass in Bälde ein Verbot der merkwürdigen Sekte erfolgt. Einstweilen versuchen die Herren Pandias, allen voran das Geschlecht der Sarssamiden, dem ihr plötzlich aus jenseitigen Räumen zurückgekehrter Patriarch ein Dorn im Auge ist, das Problem selbst in den Griff zu bekommen. Gleich mehrere Assassinen hat man auf Sidhor und andere wichtige Mitglieder der Bruderschaft angesetzt, doch alle Attentatsversuche schlugen fehl. Und was am schlimmsten ist: Die letzten Assasinen, die man auf Sidhor selbst ansetzte, konvertierten nach kurzem gespräch mit ihm gar selbst zur Bruderschaft und ließen ihre Auftraggeber im Stich! Auf propagandistischer Ebene ist der im Volke beliebten Bruderschaft kaum beizukommen. Die Weste der Bruderschaft ist so blütenrein, dass ihr schier keine Verleumdung anhaften will. Dennoch berichten die wenigen Spione, die den inneren Kreis der Bruderschaft beobachten, von seltsamen Dingen, die darauf schließen lassen, dass sich hinter der Sekte wirklich außerweltliche Dinge verbergen. Im Allerheiligsten des Kultes, in Sidhors Turm befände sich eine Flammensäule von unirdischer blauer Färbung, welcher die Kultführer huldigen würden und von der sie Weisungen in außerirdischer Sprache und vielerlei Stimmen erhielten. Zuweilen, so berichten die Kundschafter weiter, opfere man der Flamme Menschen worauf die Flamme größer werde und mit der Stimme des soeben Geopferten rede. Es heißt, Sidhor selbst habe diese Flamme vom Stern Achernar auf die Erde gebracht. Seltsam ist auch, das sich Sidhor stets komplett verhüllt. Niemand hat seit seiner Rückkehr sein Gesicht gesehen und die, die ihm nahekommen, erzählen, er strahle eine unnatürliche Wärme aus. Was auch immer wirklich hinter der Bruderschaft der kosmischen Flamme stecken mag – der junge Kult wird das Imperium gewiss noch einige Zeit beschäftigen!

 

Aspekte:

  • Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
  • Pläne in Plänen
  • Stimmen aus dem All
  • Schauet das Licht

 

*Imperiale Seefahrer navigieren nach den Sternen Achernar, Formalhaut und  Alruccabah. Obgleich Alruccabah der hellste der Drei ist, er wird in der Waismark und im Norden auch „Polarstern“ genannt, zieht Achernar wegen seines ungewöhnlichen, blauen Glanzes im Imperium die besondere Aufmerksamkeit auf sich und ist mit einer Vielzahl verschiedener Mythen verbunden. Viele Dynastien und Adelshäuser des Imperiums führen die Farbe Blau im Wappen und sehen Achernar als besonderen Schutzstern des imperialen Adels an. Magiern und Sterndeutern gilt der seltsame, blaue Stern als entferntester Punkt des sichtbaren Universums und als eine Art „Wächterstern“ oder interstellarer „Grenzposten“ zwischen diesem Kosmos und dem ersten der jenseitigen Kosmen. Beschwörungen von Dämonen und anderen außerweltlichen Geschöpfen richten sich nicht selten nach den Bahnzyklen und pulsierenden Helligkeitsschwankungen des Achernar.  Da sich der Achernar, wie viele Magier glauben, an der Scheidewand zwischen den Universen befindet, glaubt man, dass Wesenheiten, die von dort kommen, besonders tiefe Einblicke in die Natur des Multiversums hätten, oder sich hervorragend als Wächtergeister eignen. Allerdings soll es dem wenigen zufolge, das aus den verschwiegenen Reihen der Magier zu vernehmen ist, unendlich schwer sein, gezielt Wesen aus dem Reich des Blauen Sterns zu beschwören. Die jenseitigen Kreaturen des Achernar seien nicht nur schwierig zu kontaktieren, sondern auch unmöglich zu kontrollieren.

 

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