Die Fragmente

Malmsturm – Die Fragmente: Zinnober – der rote Bettler der Waismark

Stimmen aus der Waismark

Gesehen? Das arme Schwein, das sie vor der Stadt an den Pfeiler der alten Brücke über den Mühlenbach gekettet haben? Tja, in fünf Tagen kommen die Ketten wieder ab – er sollte nur beten, dass es bis dahin nicht kräftig regnet… Warum? Na, weil der Mühlenbach dann vom knietiefen Rinnsal zum mehrere Faden tiefen Wildwasser wird! Aber zumindest die rote Farbe würde es dem Betrüger aus der dummen Fratze wischen – wie kann man auch nur so blöd oder verrückt sein, sich als leibhaftige Märchenfigur auszugeben? Und dann auch noch Zinnober…“

Ereld Breem, Bauer aus dem Dorf Hultfurt

Eines vorab: es gibt ihn wirklich. Er ist keine Märchengestalt, wenn auch so manche Märchen über ihn erzählt werden. Zinnober ist so oder so der wohl bekannteste Bettler der Waismark – sei er nun eher berühmt oder berüchtigt. Überall in den großen Städten, im Schatten mächtiger Burgen und auf den Plätzen der wichtigen Marktflecken kursieren die Gerüchte und Geschichten über den Bettler mit dem roten Gesicht. Zu Ursprung und Natur von Zinnober wimmelt es nur so vor aberwitzigen Behauptungen, aber in einigen Punkten sind sich dann doch fast alle Erzählungen einig: Zinnober ist ein großer, aber hagerer Mann schwer bestimmbaren Alters mit unbändigem schneeweißem Haar, der stets nur sehr einfache Kleidung trägt und als Bettler durchs Land zieht. Zinnober hat aber vor allem feuerrote Haut und taucht nur an Orten auf, denen große Veränderungen und unruhige Zeiten bevorstehen! Ob dabei Zinnober diese Veränderungen bloß ankündigt oder gar bewirkt, ist umstritten – in einigen Geschichten wird sogar behauptet, dass die diversen Unglücke und katastrophalen Umwälzungen immer erst stattfinden, nachdem der Bettler einen Ort wieder verlassen hat. Gleichzeitig sagt man, dass während der Anwesenheit Zinnobers in einer Siedlung, diese eine Zeit blühender Geschäfte, besonders fröhlicher Feste, rasch heilender Wunden und Krankheiten, sowie generell guter Nachrichten erfährt. Dies wird oft auf eine weit zurück liegenden Segnung Zinnobers durch einen mysteriösen heiligen Einsiedler, dem er einst das Leben gerettet haben soll, zurückgeführt, aber beinah ebenso häufig ist die Rede von einem teuflischen Pakt, dem er diese Wirkung verdankt. Auf jeden Fall wird Zinnober, sobald er als solcher erkannt wurde, üblicherweise von der Bevölkerung stets sehr freundlich und zuvorkommend behandelt, selbst wenn – wie so oft – der örtliche Laektor ihn als Scharlatan, Schmarotzer, Unglücksraben und heidnischen Verführer diffamiert. Genau diese Reaktion erhoffen sich daher auch die vielen Hochstapler, welche aus Not oder Gier heraus versuchen, sich mit den obskuren Lorbeeren des Bettlerkönigs, wie er auch genannt wird, zu schmücken und sich als dieser ausgeben.

Stimmen aus der Waismark

„…der Alte sollte seine Bluthunde besser zurückpfeifen – erst recht, wenn er dabei an diesen widerlichen Heidenpriester denkt! Verdammt, ihr kennt doch auch die Geschichte von Zinnober und der Hexe vom Turm: ihr wisst schon, die, in der die Frau des Bürgermeisters eine Hexe ist, die einen Teufel beschwört, um den freundlichen Bettler zu töten – nur, dass der Teufel kurz darauf vor Wut brennend wieder bei der Hexe erschien, sie anfauchte, ob sie nicht wisse, wen sie da hätte morden wollen, und sie dann schließlich einfach in zwei Hälften zerriss…“

Jovold der Dicke, stadtbekannter Schläger in Maenyff

Unabhängig von allen Legenden über ihn ist der echte Zinnober tatsächlich selbst auf der Suche nach der Wahrheit über sich und seine Geschichte. Denn Zinnober – eigentlich ein Spitzname, aber auch der einzige Name, an den er sich erinnern kann – wandert seit wenigstens drei Jahrzehnten durch alle Regionen der Waismark ohne genau zu wissen, wer er ist oder woher er stammt. Seine früheste Erinnerung ist ein unscharfes Bewusstsein von Erschöpfung und Kälte während er sich an einem frischen Sommermorgen aus einem Heuhaufen befreite. Er wusste weder seinen Namen, noch wie und warum er in dem Heuhaufen geschlafen hatte. Seine rote Haut und die wild in alle Richtungen abstehenden weißen Haare erschreckten die ersten Menschen, die er traf, aber seine schläfrige Benommenheit, die noch Tage nach Verlassen des Heuhaufens anhielt, brachte ihm rasch den Ruf eines freundlichen, leicht schwachsinnigen Einfallspinsels ein. Er erinnert sich weiterhin an eine unbestimmte Zahl von Jahren, in denen er seinen Unterhalt abwechselnd als Handlanger und als Bettler verdiente. Das endete erst mit seiner ersten Begegnung mit dem fahrenden Volk der Pavee, die ihn ohne Erklärung mit großer Freundlichkeit aufnahmen und bestens versorgten, um ihn dann viele weitere Jahre wie eine Art Maskottchen alle paar Wochen von Truppe zu Truppe weiterzureichen. Doch nachdem er sich bei einer der Truppen auf eine Liebesnacht mit der Tochter des Anführers der Gaukler einließ, da erwachte er am folgenden Morgen inmitten des völlig verlassenen Lagerplatzes – und keine Paveetruppe wollte ihn seitdem mehr aufnehmen oder auch nur mit ihm sprechen. Schließlich fand er sich recht verloren in einem kleinen Marktflecken im Osten der Waismark wieder, wo er sich nur mit seiner Bettelschale an eine schattige Hauswand hockte. Doch bald schon bestaunten einige Kinder seine seltsame Erscheinung, so dass er ihnen mit allerlei lustigen Geschichten, die er im Lauf der Jahre gelernt hatte, ihre Scheu nahm und sie zum Lachen brachte. Bald unterhielt er einen Pulk von Marktbesuchern und Händlern, bis der Tag wundersamerweise in einem spontanen Fest endete, woraufhin am nächsten Morgen beschlossen wurde, den Markt um volle zwei Tage zu verlängern, da die Zahl der Besucher ungewöhnlich groß war und die Geschäfte so gut wie nie! Nur der korrupte alte Marktaufseher und der örtliche Laektor, sein Neffe, störten sich an diesem bizarren Fremden – so sehr, dass der Laektor sogar eine feurige Predigt gegen ihn hielt, welche die Gemeinde jedoch seltsam gleichgültig ließ. Später vernahm Zinnober sogar, dass der Laektor einen regelrechten Bannfluch gegen ihn gebetet haben soll, doch Zinnober hatte in dieser letzten Nacht im Dorf nur einige wirre Träume. Am folgenden Tag zog er weiter, aber nach seiner Abreise entdeckten die Dörfler den Laektor erwürgt vor seinem eigenen Altar – direkt unter dem Marktaufseher, der sich dort erhängt hatte! Von da an schien Zinnober gleichermaßen Glück und Unglück mit sich zu bringen: Je freundlicher er zu den Menschen war, je wohler er sich in einem Ort fühlte, desto froher und lebhafter schienen die Einwohner zu werden – nur, dass es fast immer einige Ausnahmen gab. Diese zählten oft zum wohlhabenden oder herrschenden Teil der Bevölkerung und reagierten mit geradezu instinktiver Abneigung oder sogar Hass auf den rothäutigen Fremdling, dem aber dennoch nie etwas übles zustieß. Stattdessen folgten seiner Abreise regelmäßig Familientragödien, Krankheiten oder bizarre Morde innerhalb der lokalen Oberschicht – und selbst Zinnober, wenn er auch seine Vermutungen hat, versteht dies bis heute nicht wirklich…

Zinnober ist fast neunzehn Hände hoch und sehr schlank. Sein unbändiges weißes Haar umgibt ein von Natur aus bartloses knallrotes Gesicht, das trotz – oder vielleicht gerade wegen – seiner tiefliegenden wässrig blauen Augen fast immer offen und fröhlich wirkt. Außer einer Bettelschale und einem löchrigen grauweißen Wollgewand hat er meist nur einen langen Ast als Wanderstab bei sich. Er scheint immer etwas zu leise zu sprechen, wird aber dennoch immer von allen klar verstanden.

Aspekte:

  • Auf der Suche nach sich selbst
  • Auch Brennspiegel sind Spiegel
  • Uralte Augen…

Fertigkeiten:

  • Gut (+3) Ausstrahlung
  • Ordentlich (+2) Entschlossenheit, Gespür
  • Durchschnittlich (+1) Ausdauer, Gelehrsamkeit, Scharfsinn

Talente & Gaben:

  • Ein Freund der unteren 10.000 (+1 auf Ausstrahlung gegenüber Bettlern, Dieben, Huren und anderen „Randexistenzen“.)
  • Stimmungssinn (+1 auf Gespür, um die Stimmungslage in einer Gruppe oder einem Raum voller Menschen zu erkennen.)
  • Vom Blut der Alten (Wird von allen technischen Relikten, die den Zweck haben, die Identität des Nutzers zu überprüfen, als voll autorisiert anerkannt.)

Schicksalspunkte: 3

Belastungspunkte:
Körperlich 6
Mental 7
Arkan 5

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