Wer von den gefürchteten Nomaden der Arsali, den Pandharen spricht, der denkt dabei gewöhnlich an hochgewachsene Barbarenkrieger, deren ganzes Dasein von ihrem unbeugsamen Ehrgefühl, ihrer kaum zu zügelnden Kampfeslust, sowie der aus beiden resultierenden Rachsucht bestimmt wird. Tatsächlich beschreibt dieses Vorurteil wohl die meisten Angehörigen dieses Volkes sogar erschreckend gut. Es existiert aber eine kleine Gruppe von Pandharen, deren augenscheinliches Verhalten so sehr von einer derartigen Beschreibung abweicht, dass viele, die ihnen begegnen, fest davon überzeugt sind, auf so etwas wie Ausgestoßene oder Verbannte dieses Nomadenvolkes gestoßen zu sein. Nur die wenigsten erfahren jedoch je, wie falsch sie mit dieser Annahme liegen.
Stimmen des Nordens
„…quatsch einen Pandharen von der Seite an und schon liegst du blutend am Boden. Das hat mir schon mein versoffener Alter beigebracht. Aber dieser komische Kerl? Nicht einmal ne Axt hatte der – und hörte sich ohne eine Miene zu verziehen dieses besoffene Gefasel von Olgaf an! Na ja, bis der dann sein Jagdmesser zog und es wirklich völlig verrückt wurde…“
Sullgerd der Vielgereiste, alter Kaufmann, zu seinem Enkel Ildarr
Der Legende nach soll vor nunmehr fast siebzehn Jahrhunderten, kurz nach dem Tod des großen pandharischen Heerführers Thon Quor und der darauf folgenden Auflösung seiner Armee, ein junger Pandharenkrieger, der in seiner letzten Schlacht sein rechtes Auge verloren hatte, zu einer langen Reise nach Osten aufgebrochen sein. In einigen Erzählungen wird behauptet, er habe nach einem Weg gesucht, sein Auge zurück zu erhalten, in anderen heißt es, er hätte nur den thraskitischen Mörder von Thon finden und töten wollen. Meist wird jedoch berichtet, dass der namenlose Krieger überzeugt war, den Tod seines Anführers selbst verschuldet zu haben – auch wenn die genaue Art dieser angeblichen Schuld von Geschichte zu Geschichte wechselt. Daher suchte er nunmehr nur noch nach einem Weg, seine Ehre wenigsten noch im Tod wiederherzustellen. Doch soweit er auch ging, wohin er auch kam, er fand keine Sache, für die zu kämpfen und zu sterben seine immense Schuld bereinigt hätte. Angeblich zog der Krieger mehr als zwanzig Jahre lang so durch die Welt. Wo er zuletzt ankam und blieb ist umstritten, aber etwa ein halbes Jahrhundert nach dem Tod von Thon Quor tauchen dann die ersten Berichte über merkwürdige, einzelgängerische Wanderer auf, die ihrem Aussehen nach wie pandharische Krieger wirkten, sich aber derart ungewöhnlich, um nicht zu sagen unnatürlich verhielten, dass sie zunächst häufig für wahnsinnig oder von mächtigen Geistern besessen gehalten wurden. Denn diese angeblichen Pandharen schienen völlig unempfindlich gegenüber persönlichen Beleidigungen oder Provokationen jeglicher Art zu sein! Selbst direkte Herausforderungen zum Zweikampf ignorierten sie einfach und behandelten ihre Herausforderer als wären sie Luft. Zunächst rief dieses Verhalten meist nur Belustigung und Spott hervor, aber dann kam es unweigerlich auch zu direkten Angriffen gegen diese sogenannten Pandharen – meist durch wütende junge Krieger, welche sich durch deren gelassene Gleichgültigkeit ihrerseits missachtet und beleidigt fühlten. Doch zum Erstaunen aller Augenzeugen und dem Entsetzen der ungestümen Angreifer, erwiesen sich diese Wanderer in jedem Fall als völlig unbeeindruckt von diesen Attacken: Wo sie deren Hieben nicht einfach auswichen, da widerstanden sie den Waffen und Fäusten ihrer Angreifer scheinbar mühelos und ohne einen Tropfen Blut zu vergießen – obwohl doch keiner von den Wanderern ein Kettenhemd oder eine ähnliche Form von Panzerung trug! Dennoch schlug keiner der seltsamen Wanderer zurück. In vielen entsprechenden Geschichten wird allerdings erzählt, dass einige der so attackierten Pandharen ihre Angreifer irgendwie dazu zu bringen schienen, nicht einfach nur ins Leere zu laufen, sondern mit enormem Schwung gegen Bäume, Felsen oder Wände zu schleudern, so dass sie sich oft selbst verletzten oder gar bewusstlos schlugen. Die Pandharen hingegen gingen nach solchen Auseinandersetzungen einfach weiter ihres Weges.
Schriften des Nordens
Angesichts der vorliegenden mündlichen Überlieferungen und der vorgenannten Texte kann also die Existenz dieser Bruderschaft als gesichert gelten. Ihr Ursprung bleibt hingegen weiterhin rätselhaft. Alles deutet jedoch auf eine versteckte Niederlassung jenseits des Septembrischen Ozeans hin, so dass ich und meine Schüler nun die Mittel für ein Schiff samt Mannschaft gesammelt haben, um dann baldigst der von dir übersandten Karte – denn nichts anderes können die Zeichen auf dem Walknochen sein – in den Sonnenaufgang zu folgen…
Fretjorg von Faensal in seinem letzten Brief an seine Schwester in Grimwerk
In den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten kursierten dann immer mal wieder neue Geschichten über solche ungewöhnlichen Pandharen durch die Länder des Nordens. In allen wird ihre ungeheure körperliche Widerstandskraft, ihr Langmut und ihre Willensstärke gerühmt, die sie angeblich nicht nur gegenüber Waffen, sondern auch angesichts von Kälte, Hunger und Durst unerschrocken und unbeugsam auftreten lassen. Sie schließen sich nie Stämmen an und bleiben selten lange in einer Siedlung, doch sollen sie in seltenen Fällen einzelne junge Pandharen als Schüler angenommen haben, denen sie dann die Lehren und Künste ihres ursprünglichen Meisters, den sie Iarngrim nennen, weitergeben. Der soll, so sagt man, einst gelernt haben , dass ein Pandhar, der sich wirklich ganz und gar selbst treu bleiben und niemandes Diener sein will, sich auch nicht von Wut oder Scham, Schmerz, Hunger oder der Willkür des Wetters unterwerfen lassen darf. Wie auch bei der von den Pandharen traditionell so hoch angesehenen Freundschaft, so soll ein jeder, der wahrhaft sein eigener Herr ist, nur das leisten und geben, was er bloß aus sich selbst heraus wirklich geben will – und nicht, weil eine Überlieferung, sein leidender Körper, ein Verwandter, oder gar Angst, Gier oder Hass das von ihm verlangen. Diese Kunst der Selbstgenügsamkeit und Aufrichtigkeit sich selbst gegenüber soll Gramfenger in einem mysteriösen Land jenseits des Sonnenaufgangs entwickelt haben, wo er auch seine ersten Schüler unterrichtete, damit sie heimkehren und anderen geeigneten Pandharen den Weg aus ihrem Gefängnis aus Stolz und Wut weisen mögen. So gibt es Erzählungen, in denen wandernde Gramfenger – wie sich diese wandernden Schüler von Iarngrim nennen – Reisende vor Überfällen schützen, aber auch welche, in denen sie die Verfolger einer Räuberbande in die Irre führen oder in denen sie stundenlang schweigend eine blutige Schlacht beobachten, ohne irgendwie einzugreifen. Es ist umstritten, wie weit die legendären Künste und die Widerstandskraft der Gramfenger wirklich reichen, aber es gilt als sicher, dass sie keinerlei Magie ausüben – sie sollen Magiern sogar hier und da mit einer seltsamen Mischung aus Vorsicht und Mitleid begegnen, welche die jeweiligen Hexer und Schamanen meist furchtbar irritiert. Trotz allem hält sich jedoch seit Jahrhunderten das Gerücht, irgendwo in einem einsamen Tal im Osten lebte der alte Iarngrim noch immer – umgeben von seinen größten Schülern, die erst dann wieder dieses Tal betreten dürfen, wenn sie selbst herausgefunden haben, wie man sich sogar aus der ewigen Knechtschaft von Alter und Tod befreit…
Mögliche Aspekte
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