Die Fragmente

Malmsturm – Die Fragmente: Gasthaus „Götterhand“

Schriften aus dem Norden

ich lege euch daher eine Zeichnung des besagten Monuments bei. Nutzt diese bitte, um bei eurer nächsten Reise nach Manto zu überprüfen, ob Umfang, Stil und Material dem der alten verwitterten Hafenmauer und ihrer noch erhaltenen Verzierungen, oder gar einigen der tief im Hafenbecken versunkenen Trümmerstücke entsprechen…

 Aus einem Brieffetzen, der neben einer Skizze von Gasthaus Götterhand in der Satteltasche eines toten vigirischen Reiters gefunden wurde, welcher anscheinend von seinem Mörder mit einer einzigen Hand erwürgt worden war.

 

 

Wer die alten Karawanenwege zwischen Vigiristan und Arsali entlang reist, der kann mit einiger Wahrscheinlichkeit einem seltsamen Wunderwerk begegnen – dem legendären „Gasthaus Götterhand“. Nun sind Gasthäuser an Karawanenwegen an sich nichts Besonderes. Mit Gasthaus Götterhand hat es allerdings etwas Besonderes auf sich. Es wurde nicht zu ebener Erde, sondern etwa 50 Meter über der Straße gebaut, auf dem, was die Überreste einer gigantischen Statue zu sein scheinen. Genauer gesagt, auf dem Stumpf eines riesigen, aus der Erde ragenden, steinernen Armes, dort wo sich einstmals die Hand erhob. Noch immer sind die von den Bildhauern der Vorzeit hervorragend abgebildeten Muskeln eines durchtrainierten Männerarmes erkennbar. Die Hand hingegen ist schon vor Urzeiten abgebrochen und liegt vor dem Arm, die krallengleich ausgestreckten Finger je mit dem ersten Fingerglied in den Boden gebohrt. Heute befinden sich unter der Hand der Stall und die Pferdetränken für die Tiere der durchreisenden Gäste – früher einmal soll die Hand eine riesige, hohle Kugel aus fingerdicken Stahlplatten gehalten haben, aber die wurden schon Jahrhunderte vor dem Bau des Gasthauses zerlegt und verschleppt. Sieht man sich die Runeninschriften am Handgelenk des gigantischen Armes genauer an (und versteht etwas von Runen), so wird man zwar nicht den ganzen Text entziffern können, denn dafür ist die Schrift zu verwittert, aber die mächtigen, baltharischen Runen für „Schutz“ und „Trutz“ sind gut zu erkennen.

Das Gasthaus ist eine gewagte, vierstöckige Bretterkonstruktion, die man über eine um den Arm herumlaufende Wendeltreppe erreichen kann. Gasthaus Götterhand wurde, zumindest wenn man dem Wirt glauben kann, vor eineinhalb Jahrhunderten gegründet. Wie könnte es anders sein, natürlich von einem Thuul. Das Haus ist dabei rund und um einen zentralen Kamin herum errichtet worden. Im „Erdgeschoss“ mit dem großen Schankraum steht in dessen Mitte ein Kachelofen, von dem aus ein gemauerter Kamin durch das ganze Haus zieht. Schlafgelegenheiten befinden sich immer in der Nähe des Kamins, damit auch jeder Gast in kalten Steppennächten etwas Wärme abbekommt. Vorratsräume und zusätzliche Kammern hat man nach Gutdünken an die Außenseite des Gasthauses angebaut, so dass das Gasthaus heute ein sehr verschachteltes und chaotisches Bild bietet. In der obersten Etage schlafen der Wirt, seine Familie und das Gesinde, darunter die Gäste. Der derzeitige Wirt des Gasthauses Götterhand ist der beleibte Orsav Honigbart. Den Namen „Orsav“ trägt er aus Tradition, denn alle sechs Wirte vor ihm hießen wie der Erbauer des Gasthauses „Orsav“. Den Namen „Honigbart“ trägt er, weil er sich gerne am Honig vergreift, der eigentlich für das Brauen des hauseigenen Mets gedacht ist. Dass er dem Stamm der Thuul angehört, sieht man Orsav allerdings nicht an – seine schmalen Augen und sein rotes Haar verraten vielmehr einen deutlichen Schuss Thraskitenblut in seinen Adern. Die Kinder, die er mit seiner Frau und seinen Mägden gezeugt hat, sehen sogar noch weit thraskitischer aus als er. Orsavs joviale, kumpelhafte Art und sein deutlicher Hang zu Späßen täuschen darüber hinweg, dass er auch ein hervorragender Geschäftsmann und Krieger ist. Gasthaus Götterhand ist nicht nur wegen der günstigen Lage an einer Straßenkreuzung, seinem hervorragenden Met und dem guten Hausbrot so beliebt, sondern auch, weil es zu den sichersten Gasthäusern in hunderten Leugen Umkreis gehört. Den Orsavs war die Sicherheit ihrer Gäste stets heilig, sofern diese das Gastrecht nicht verletzten und die Lage auf dem steinernen Armstumpf macht das Gasthaus nur schwer einnehmbar. Orsavs Großvater hielt in Haus Götterhand sogar einmal einer dreimonatigen Belagerung durch eine veritable Pandharenstreitmacht stand, die versuchte einen der Gäste aus dem Haus zu entführen, weil dieser die Tochter ihres Häuptlings geschwängert hatte. Da Haus Götterhand eine so sichere Zuflucht in einer gefährlichen Umgebung ist, setzen viele Karawanenführer alles daran, hier zu übernachten und nicht in der Steppe. Man tauscht lieber in luftiger Höhe Geschichten aus allen Ländern des Nordens bei einem heißen Glas Met aus, als in der kalten Taiga von Wölfen ins Gemächt gebissen zu werden. Das führt mittlerweile zu Problemen. Manchmal treffen zu viele Reisende gleichzeitig ein und dann wollen mehr Personen im Gasthaus nächtigen, als es Plätze gibt. Da Orsav den Familieneid geleistet hat, nie einen zahlenden Gast abzuweisen, vermietet der geschäftstüchtige Thuul auch Jurten und lässt diese, um auch den darin schlafenden Gästen die berühmte Sicherheit des Hauses Götterhand gewährleisten zu können, durch bewaffnete Wächter schützen (Orsav ist daher immer auf der Suche nach ehrlichen, verlässlichen Männern, die es verstehen, ein Schwert zu führen).

Der Glanz des Gasthauses überstrahlt fast das eigentlich größere Wunder vor Ort, den steinernen Arm. Für viele ist der Arm einfach nur die Steinsäule, auf der das legendäre Gasthaus steht. Viele verschwenden keinen großen Gedanken daran, wer den Arm erbaut haben könnte. Manchmal kommen im Bierdunst der Schankstube wüste Theorien auf – ob sich unter der Erde vielleicht eine zum Arm gehörige Statue verbergen könnte, ob es sich um ein Bauwerk oder um einen versteinerten Gott handele oder ob der Frieden im Gasthaus durch den Zauber der Schutzrunen am „Handgelenk“ begünstigt würde. Dass sich das Geheimnis des Armes lösen ließe, wenn man eine am Boden des großen Kachelofens verborgene Metallplatte bei Seite schieben und die zum Vorschein kommende, dunkle Wendeltreppe hinab stiege, weiß nicht einmal Orsav, denn sein Vorfahre, der erste Orsav hat die Gründe dafür, warum er den Gang in die Tiefe beim Bau des Gasthauses mit Stahlplatte und Kachelofen verbarg, nie überliefert. Noch verblüffender als die Entdeckung dieses verborgenen Zugangs wäre sicher nur das, was sich tief unter dem Gasthaus in schwarzem Stahl verborgen findet….

Aspekte:

Warmes Licht in kalter Nacht

Kreuzung der tausend Geschichten – Beginn der tausend Reisen

Jenseits der stählernen Tür

 

1 Comment on Malmsturm – Die Fragmente: Gasthaus „Götterhand“

Kommentar verfassen