Die Fragmente

Malmsturm – Die Fragmente: Die Kabale der Liebenden Hand

Die weitläufigen Slums der imperialen Metropolen sind so voll von arbeitswilligen Armen, die für Hungerlöhne auch die unangenehmsten Tätigkeiten ausführen würden, dass von einem Mangel an preiswerter Arbeitskraft keine Rede sein kann. Trotzdem ist Sklaverei im Imperium weit verbreitet. Die Gründe dafür sind ideologischer Natur. Die meisten Adelshäuser halten seit so langer Zeit Sklaven, dass die Sklaverei in ihren Augen schon aus Traditionsgründen fest zum adeligen Lebensstil gehört. Sklaven sind schließlich nicht nur Dienstpersonal, sondern auch Statussymbol. Zudem sorgt das ausgeprägte Standesdenken der imperialen Gesellschaft für die breite Akzeptanz der Sklaverei. Wer Sklaven hält, so die Denkweise konservativer Imperialer, beweist seine Macht über niedere Gesellschaftsschichten. Wer statt dessen Arbeitsverträge mit Vertretern niederer Klassen der Strata abschließt, akzeptiert sie ein Stück weit als „gleichwertiger“ und unterminiert so seinen eigenen, hohen Stand. Mit Gildenvertretern mögen Vertragsschlüsse noch akzeptabel sein, nicht aber mit dem Pöbel. Die breite Masse der Adeligen ist mit dieser verdrehten Argumentation aufgewachsen und hinterfragt sie nicht. Diejenigen, die gegen die Praxis der Sklaverei vorgehen wollen, stellen nur eine kleine Minderheit dar. Zu dieser Minderheit gehört die „Kabele der liebenden Hand“. Diese Gruppierung ist die letzte in einer ganzen Reihe von ähnlich gearteten Bewegungen, die immer mal wieder alle paar Jahrzehnte von idealistischen Jugendlichen ins Leben gerufen werden. Noch weit vor der älteren Gruppe der „Pragmatisten“, die die Sklaverei wegen des volkswirtschaftlichen Schadens den sie (laut der Theorien der Pragmatisten) verursacht abschaffen will, ist die „Liebende Hand“ die beliebteste Anti-Sklaverei-Bewegung im Adel.
Die Mitglieder der vor 14 Jahren gegründeten Gruppe sehen sich selbst als führsorgliche Altruisten, denen nichts mehr am Herzen liegt, als das Wohl der Unterdrückten. Das Leid, welches durch Sklaverei verursacht wird, wollen sie, wo ihnen dies möglich ist, lindern. Das eigentliche Fernziel, die Abschaffung der Sklaverei, sehen die meisten Mitglieder der Kabale nur als theorerisch an – zu stark wäre die Sklaverei in die imperiale Gesellschaft eingebunden, als das eine vollständige Abschaffung durchführbar wäre. Außerdem würde die schlichte Befreiung eines Sklaven, so die kruden Theorien der Kabale, diesem nicht helfen. Nirpu Quavanthis aus dem Hause Elshama, der als verquast verschriene Philosoph der die Kabale gründete, vertritt die Ansicht, ein Sklave wäre durch die zahlreichen seelischen Narben, die die Sklaverei ihm zugefügt habe, nicht mehr zu einer Existenz in Freiheit in der Lage. Ein Leben in Freiheit würde seinen gebrochenen Geist schlicht überfordern. Dies gelte bereits für Sklaven, die früher ein Leben in Freiheit gewohnt waren und für geborene Sklaven umso mehr. Da es die Pflicht eines gnädigen Adeligen sei, das Leid seiner Untergebenen zu vermindern und eine sofortige Freilassung das Leid des Sklaven in Wahrheit nur steigern würde, müsse man andere Wege finden, ihnen ein würdigeres Dasein zu verschaffen. Über das zu bevorzugende Prozedere ist sich die Kabale noch nicht völlig einig. Bei ihren geheimen Treffen diskutieren die Kabelenmitglieder stets hitzig über angemessene Aktionen und philosophische Feinheiten. Die meisten Mitglieder sind der Meinung, dass die Fortpflanzung von Sklaven neben Ausbeutung und Misshandlung eine der größten Quellen von Leid ist, da die Nachkommen von Sklaven ihrerseits Sklaven sind. Die Kastration von Sklaven ist folglich eines der größeren Ziele der Kabale. Die Mitglieder lassen eigene Sklaven grundsätzlich kastrieren. Bei illegalen Protestaktionen hat die Kabale auch schon den gesamten Sklavenbestand größerer Sklavenhalter durch heimlich in Essen und Trinkwasser gemischte Chemikalien sterilisiert. Bei der Sklavenhaltung ist für die Kabale die körperliche Misshandlung von Sklaven ein absolutes Tabu. Einige der reicheren Mitglieder unterhalten außerhalb der Großstädte Gnadenhöfe für Sklaven, auf denen sie (unter Bewachung) leben dürfen – laut der Kabale weitgehend frei von Leid und Ausbeutung. Auf ein paar dieser Gnadenhöfe werden den dort lebenden, „geretteten“ Sklaven diverse Arbeiten wie das Pflegen von Gartenpflanzen oder das Zertrümmern von Felsbrocken auferlegt. Man tut dies, um die „armen, geschundenen Sklavenseelen“ nicht zu plötzlich aus ihrer gewohnten Lebensform zu reißen und so noch mehr Leid zu verursachen. Natürlich achtet die Kabale bei dieser Form von „artgerechter Haltung“ penibel darauf, aus der Arbeit der Sklaven keinen wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen, denn dies wäre ja Ausbeutung. Eine radikale Minderheit innerhalb der Kabale hält diese Aktionen für ungeeignet, das Leid eines Sklaven zu mindern. Sie glauben, allein der Tod könne einen Sklaven aus seinem Elend befreien und befürworten daher die möglichst schmerzfreie Euthanasie durch „sanftes“ Ertränken oder vergiftete Bankette.
Die Kabale der Liebenden Hand betrachtet sich als Geheimgesellschaft, da ihre Mitglieder glauben, dass ihre „progressiven Ideen“ sie in Konflikt mit der Obrigkeit bringen würden. Tatsächlich betrachtet die Regierung die „Liebende Hand“ nicht als staatsbedrohende Verschwörung, sondern als Haufen naiver, jugendlicher Träumer ohne echtes Gefahrenpotential. Die „Liebende Hand“ tut kaum etwas, was nach den Maßgaben des imperialen Rechts als Verbrechen zu bewerten wäre und ist auch in Puncto Geheimhaltung viel zu ungeschickt, als dass sie etwa den Argwohn der Assassinengilde wecken würde. Ihr „geheimes Erkennungszeichen“, eine kleine, vergoldete Kastrationszange, tragen sie viel zu offensichtlich, ihre Depeschen sind viel zu primitiv kodiert und etliche Mitglieder viel zu schwatzhaft um irgend etwas ernsthaft geheim zu halten. Man ignoriert die Kabale folglich. Ironischerweise bestärkt der Umstand, dass bis jetzt nur einzelne Mitglieder aber noch nie die ganze Gruppe Probleme mit der Obrigkeit bekam, die Liebende Hand in der Überzeugung, besonders erfolgreich geheim zu operieren. Für die Geheimdienste des Imperiums ist das ein steter Quell der Heiterkeit.
Nur wenige Sklaven ahnen von der Existenz der Kabale. Die meisten, die von ihr hören, glauben zunächst, sie hätten echte Freunde in den Reihen des Adels. Diejenigen aber, die die krude Philosophie der Kabale genauer kennen, halten die Kabale für einen der übelsten Schrecken, denen ein Sklave im Imperium in die Hände fallen kann.

 

Aspekte:

  • Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert.
  • Hauptsache man hat ein Ideal.
  • Sanft lächelnder Horror.

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