Das die Ilmarer in ihren unterirdischen Dörfern so manches Geheimnis hüten, das nicht für die Außenwelt bestimmt ist, ist weithin bekannt. Über bestimmte Dinge fragt man Ilmarer auch bei engster Freundschaft nicht aus und bestimmte Gänge in den Dörfern und Gehöften dieses seltsamen Stammes betritt man einfach nicht, wenn man zu Gast bei Ilmarern ist. Außerdem wird von gewissen Dorfältesten immer nur geredet – als Außenstehender sieht man sie jedoch nie. So kursieren allerlei Legenden und Gerüchte über die Herdhüter. Eines der Gerüchte besagt, dass die Ilmarer über außergewöhnliche Heilkräfte verfügen würden. Das entspricht den Tatsachen. Ein anderes Gerücht erzählt von schleimigen, albtraumhaften Gestalten voller Ungeziefer, die von den Ilmarern erfürchtig verehrt werden. Auch dies entspricht den Tatsachen. Der Ursprung beider Gerüchte sind die Wyrmler – die geheimen Heiler, Priester und Schamanen der Ilmarer.
Als die Ilmarer vor zahllosen Jahrhunderten damit begannen, ihre Behausungen in Hügel und Bergflanken zu bohren, stießen sie nicht nur auf bereits existierende Höhensysteme, sondern auch auf das vielgestaltige, insektoide Ungeziefer, das darin hauste. Einige, wie die Ätz-Asseln oder die gefährliche Tunnelschrecke waren gefährliche Feinde, andere wie der wohlschmeckende Fasswurm ließen sich hervorragend als Nutztiere domestizieren. Unter den zahlreichen Geschöpfen der Tiefe war eine Art besonders abscheulich – der Schwarmwurm. eine Spezies staatenbildender, madenartiger Wesen. Diese bauten sich ihre Behausungen, indem sie sich zu abertausenden in den Körper eines großen Beutetieres bohrten. Dabei töteten sie es nicht, sondern erhielten es am Leben und sorgen mit den seltsamen Substanzen ihrer Drüsen dafür, dass es keinen Schmerz spürte und ihm immer neue Fleischklumpen und Metastasen wucherten, von denen sich die Schwarmwürmer ernährten. Das befallene Tier war dazu verdammt, als wandelnder Wurmschwarm umnachtet durch dunkle Gänge zu kriechen bis es elendig an den stetig wuchernden Geschwüren einging. Zunächst bekämpften die Vorfahren der heutigen Ilmarer diese kleinen Monstren angeekelt mit Feuer und giftigem Rauch. Als aber der erste Mensch von Schwarmwürmern befallen wurde, machten die Ilmarer eine Entdeckung. Die Königin des Wurmschwarms verschmilzt mit dem Nervensystem des tierischen Opfers und kann so dessen Körperfunktionen und Bewegungen rudimentär kontrollieren. Bei Menschen ist dies jedoch nicht der Fall. Ihr Geist ist zu stark, um von einer Wurmkönigin übernommen zu werden. Statt dessen kann der menschliche Wirt lernen, über die mit ihm verwachsene Königin den Schwarm zu kontrollieren! Die Insekten boten den Ilmarern nicht nur mächtige Schmerzmittel, sondern auch eine neue, effektive Waffe gegen die gefährlicheren Wesen der Unterwelt. Es brauchte eine Weile, bis die Ilmarer herausgefunden hatten, wie man die Symbiose mit Schwarmwürmern am Besten eingeht. Nur diejenigen, die besonders viel Weisheit und Wissen über den menschlichen Körper verfügten, konnten dafür sorgen, dass ihnen die zusätzlichen Fleischklumpen dort wucherten, wo sie keine lebenswichtigen Organe beschädigten. Nur die Heiler und Schamanen der Ilmarer waren in der Lage, eine Verbindung mit den Schwarmwürmern einzugehen, ohne selbst Schaden zu nehmen. Sie wurden zu „Wyrmlern“. Im Laufe langer Jahrhunderte erlernten die Wyrmler, wie sie ihren Schwarm dazu bringen konnten, gezielt Gifte und Arzneien auszuspeien, wie sie ihre Würmer besser lenken und ihr Wachstum steuern konnten. Mittlerweile sind geübte Wyrmler in der Lage zu phantastischen Dingen. Sie können mittels Wurmsekreten Wunden verkleben und ihre Heilung beschleunigen. Sie können ihre Schwärme wie eine Waffe einsetzen oder ihren Patienten kleine Würmchen einsetzen und diese so lenken, dass sie innere Verletzungen heilen. Einige Wyrmler können ihre Fleischwucherungen sogar so gut kontrollieren, dass sie sich ganze Gliemaßen wachsen lassen, um sie sich abzunehmen und einem zu Behandelnden, der Arme oder Beine verloren hat, wieder anzusetzen. Viele Wyrmler lernen sogar, ihre Umwelt durch die Augen ihrer Würmer wahrzunehmen und entwickeln so geradezu hellsichtige Fähigkeiten. Der Preis für all diese Wunder ist, das Wyrmler immer weniger menschlich werden, sobald sie sich ihre Wurmkönigin an den Nacken gesetzt haben. In den ersten zehn Jahren seiner Existenz mag man einen Wyrmler noch für einen normalen Menschen mit einem Buckel halten, sofern man ihn nicht nackt sieht (denn dann würde man sehen, dass der Buckel zahllose, sekrettriefende Löcher hat, in denen madenartige Würmer umherwimmeln). Mit der Zeit werden Wyrmler aber immer mehr zu grotesken Albtraumgestalten, zu immobilen Fleischbergen, in und auf denen Myriarden von Würmern wuchern und wuseln. Im „Endstadium“ sind einige der Würmer armlang und Tentakeln gleich mit den massigen Fleischwülsten des Wyrmlers verwachsen. Außenstehende, die unvorbereitet einem Wyrmler gegenüberstehen, würden ihn wohl für einen leibhaftigen Dämon halten, so widerwärtig ist ihre Erscheinung. Ihr monströses Äußeres sollte aber nie darüber hinwegtäuschen, dass die meisten Wyrmler tatsächlich herzensgute Zeitgenossen sind. Oftmals zeichnen sie sich durch eine tiefe Liebe zu allem Lebendigen aus und sind Ruhepol, weise Vaterfigur und gute Seele eines Ilmarerdorfes. Zu schade nur, dass Aussenseiter das niemals begreifen werden.
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