Schon gehört? Am Nordrand der Horm soll ein Trupp desertierter Legionäre eine enorme, fast ein Verst lange Karawanenwalze überfallen haben, die nach Melinoe unterwegs war. Aber das einzige, das sie haben mitgehen lassen, war angeblich die balsamierte Leiche eines hochrangigen Gildenmeisters der Technosophen…
Gespräch in einer Schenke in Alecto
Auch wenn die Fähigkeiten und Machina der Technosophen in der Ära des Exzellenten Exils nur noch ein blasser Schatten ihrer einstigen Künste sein mögen, so verfügen sie doch immer noch über einige bemerkenswerte Gaben, die überall im Imperium berühmt und berüchtigt sind. Deren bekannteste sind wohl die Viratha, riesige Machina, bei denen es sich um nichts anderes als fensterlose, geschlossene Fahrzeuge handelt, die ohne erkennbare treibende Kraft – seien es Zugtiere, Sklaven oder wenigstens der Wind – auskommen. Welchen Zwecken sie einst dienten ist Gegenstand vieler Gerüchte und Legenden, aber seit Beginn des Exzellenten Exils werden sie vor allem zum Transport besonders seltener Machina, ranghoher Gildenmitglieder und anderer wertvoller Fracht genutzt. Wie viele Viratha insgesamt noch existieren ist natürlich ein Geheimnis der Technosophen, aber es gilt als sicher, dass es drei sehr verschiedene Arten von Viratha gibt. Man unterscheidet:
Walzwagen, auch als Karawanenwalzen bekannt, sind gigantische, viele hundert Ellen lange Gebilde, die sich auf dutzenden mannshoher Radwalzen durch die staubigen Einöden des Landesinneren bewegen und aus gewisser Entfernung wie monströse Tausendfüßler erscheinen. Dieser Eindruck basiert auf der seltsam schlängelnden Bewegung der Karawanenwalzen, die aus vielen hausgroßen Segmenten bestehen, welche über elastische Gelenkstellen miteinander verbunden sind. Walzwagen sind recht weit verbreitet und wohl die häufigsten aller Viratha, doch dies gilt leider nicht für ihren traditionellen Antrieb. Dieser erfolgt nämlich eigentlich durch je ein als „Kriecher“ bezeichnetes Segment an beiden Enden der Karawanenwalze: ein Kriecher ist wie eine große, mit Keramikplatten gepanzerte Kellerassel geformt und bewegt sich wie diese mittels dreizehn stählernen Beinpaaren vorwärts! Der geheimnisvolle innere Aufbau der Kriecher scheint jedoch ebenso anfällig wie schwer zu reparieren zu sein, denn in den letzten Jahrhunderten werden sie immer öfter durch lebende Zugtiere ersetzt. Meist handelt es sich dann bei diesen um zehn bis zwölf affenähnliche, rund acht Ellen hohe Servitoren in einem mechanischen Zuggeschirr, aber seit einigen Jahren sieht man hier und da auch verkürzte Walzwagen, die nur von dreißig oder vierzig domestizierten Schwertbüffeln gezogen werden.
Gildenläufer, im Volksmund auch Rotbeine genannt, sind außerhalb von Lyssa nur selten zu sehen, werden in der Weite der Hauptstadt jedoch gern und regelmäßig von Technosophen benutzt, um schnell und unbehelligt von Ort zu Ort zu gelangen – auch wenn eine alte Regel besagt, dass man stets 60 Tage zwischen der Nutzung eines Gildenläufers pausieren soll. Gildenläufer sehen aus wie offene Stahlfässer, in denen ein einzelner Mann steht und kleine Hebel betätigt, welche anscheinend die fünf spinnenartigen Metallbeine kontrollieren, die das Fass in zwei Faden Höhe durch Schmutz und Gedränge der Stadt tragen. „Rotbein“ werden diese Gebilde, mit denen sich die Technosophen oft rücksichtslos ihren Weg durch große Menschenmengen bahnen, schlicht deshalb genannt, weil ihre scharfkantigen Beine bei Passanten häufig blutende Wunden verursachen, die nur sehr schwer heilen und denen schon so mancher erlegen sein soll!
Inselschiffe, in manchen alten Texten auch als Tevakama bezeichnet, sind die wohl größten, inzwischen aber auch seltensten aller Viratha. Angeblich nutzen nur noch die Technosophen aus Manto regelmäßig eines dieser gigantischen Gebilde, die den meisten Seefahrern nur als hohe weiße, scheinbar wie Bojen dahin treibende Türme begegnen. In Wahrheit jedoch bildet der jeweilige Turm nur die Spitze eines riesigen tropfenförmigen Schiffskörpers, der gut 9 Zehntel des Gesamtvolumens des Inselschiffes ausmacht, aber dennoch stets vollständig unterhalb der Wasserlinie verbleibt! In diesen übergroßen Schiffsbäuchen sollen die Technosophen ganze Hallen voller Machina beherbergen, von denen der rätselhafte Antrieb der Tevakama einer der größten sein soll. Zu den wichtigsten bekannten Eigenarten dieses Antriebs gehören seine angeblich nahezu unbegrenzte Reichweite, seine geringe Reisegeschwindigkeit – man redet von weniger als 3 oder 4 Statmos am Tag –, sowie eine geheimnisvolle Abhängigkeit von den Phasen des Silbermondes…
…es ist somit nur vernunftgemäß, davon aus zu gehen, dass es sich bei den Viratha nicht nur ursprünglich um Kriegsbeute – oder gar diplomatische Geschenke – aus dem legendären Reich der Jharraniden während der Ära des Entfesselten Ruhms handelte, sondern dass es auch in Wahrheit fünf verschiedene Arten von Viratha gab. Die beiden fehlenden Varianten, deren ausführliche Beschreibungen sich im nächsten Band dieser Abhandlung finden, waren dabei für Reisen in den Gefilden von Feuer und Wolken gedacht…
Lesbarer Rest eines halbverbrannten Exemplars von
Olphars „Traktat über die Historie der Technosophen“ (Band I von III)
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