Die Fragmente

Malmsturm – Die Fragmente: Die Leichenwecker vom Stuanach-See

Stimmen der Waismark

 

„Das beste und schlechteste da oben sind nicht die unheimlichen Mumien, die Teufelsanbeter oder verrückten Eingeborenen! Nein, in Acht nehmen solltet ihr euch vor dem Käse! Dieser Stuachkaes schimmelt in Steinguttöpfen voller scharfer Lauge vor sich hin und stinkt an der Luft erbärmlich – auch wenn er köstlich schmeckt. Dazu ist der Stuachkaes voller winziger halbtoter Würmchen, die aber nachweislich die Manneskraft stärken. Ich denke nun, dieser Effekt dürfte ohne die Lauge, also mit gesünderen Würmern, noch viel stärker sein – und hier kommt ihr ins Spiel…“

 

Gludberd von Trill, Händler aus Ankomahr

 

 

 

 

Will man vom am Rande der Khilaren gelegenen Nimberluch-Tal über das mächtige Aergelmassiv in das fruchtbare, aber weiter im Inneren des Gebirges liegende Endertal reisen, hat man die Möglichkeit zwei Reiserouten zu wählen. Den Zirbenstieg, der sich zu Beginn durch die enge Luchsenklamm schlängelt oder den Aergeljoch der wegen der Gletscher an denen er entlangführt nur vier Monate im Jahr passierbar ist. Bequemer wäre eigentlich der Weg über die Stuanacher Hochebene. Doch die Einheimischen nutzen ihn nicht. Sie raten auch allen Fremden eindringlich davon ab. Aller Orten zischt dort nach Schwefel stinkender „Höllendampf“ aus der Erde und manch ein Loch im Boden speit unvermittelt große Mengen kochendheißer Lauge aus, die einen arglosen Wanderer erst verbrüht und ihm dann die verkochte Haut vom Fleisch frisst. Vom Druezing, dem dreigipfeligen Berg der die Hochebene überragt, weiß man zu sagen, dass dort früher einmal Teufel hausten. Sie sollen brennenden Pech und glühenden Dämonendung auf die Bauern im Tal geworfen haben. Alles in allem ist die Stuanacher Hochebene also ein Ort, der glattweg aus der Hölle stammen könnte. Die Einheimischen gehen davon aus, das sich dort tatsächlich ein Tor in die Unterwelt befindet  und zwar am Grunde des Stuanach-Sees, der genau in der Mitte der Hochebene liegt. In den Tiefen unter seine dunkel spiegelnden Oberfläche leben nur kleine, wurmartige Fische von ekler Gestalt. Für andere Wesen aus der Schöpfung ist das Wasser giftig. Tiere, die in das Wasser geraten, verrecken nach kurzer Zeit nicht nur – nein, sie versteinern sogar regelrecht und stehen dann als unheimliche Mumien am Ufer des Sees! Lange Zeit war der Stuanach-See eine Art „Heiliger Ort“ für Alchimisten und Hexer. Alchimisten glaubten, dass Natron, das sich aus dem Seewasser gewinnen lies, sei von den unheimlichen Kräften des Sees mit besonderen Energien aufgeladen. Hexer hingegen hatten es eher auf die Mumien am See-Ufer abgesehen. Von diesen hieß es, man könne sie mit Hilfe besonderer Zauber zu einem neuen Leben als dienstbare Geister erwecken. Darüber hinaus sagt man noch heute, dass ein Zauberpulver aus gemahlener stuanacher Seemumie einem Feind Krankheit und Fluch bringen könne, wenn man es in sein Badewasser mischt.

 

 

 

Schriften der Waismark

 

…so fragwürdig die uns vorliegenden Quellen auch sein mögen, so sicher sind wir doch inzwischen, dass es wahrhaftig einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der sagenumwobenen Stuanacher Hochebene in den Khilaren und der legendären, als Gelbe Pest bekannten Seuche gibt, welche dereinst den Feldzügen eines Jorek von Khoyn ein Ende bereitete und die gesamte, an die Khilaren angrenzende Brogaerne verheerte. Entgegen den örtlichen Geschichten dürfte diese Pest aber nicht die Folge systematischer Brunnenvergiftung mit „stuanacher Zauberstaub“ durch die Hände ghorgardischer Hexer oder die reisenden Quacksalber des fahrenden Volkes gewesen sein. Vielmehr deuten gewisse beiliegende Dokumente darauf hin, dass im Umfeld von Joreks Eroberungen damals irgendetwas von der Hochebene aus in die Brogaerne gelangte und dort die Krankheit hervorbrachte. Wir denken dabei insbesondere…

 

Letzter bekannter Brief (Rest unlesbar) des verschollenen Laektors Turmas Vreen, gefunden vor rund siebzig Jahren bei der Leiche eines Boten nahe Ankomahr.

 

 

 

 

Vor knapp eineinhalb Jahrhunderten tummelten sich so viele Hexer, Ketzer und Giftmischer auf der verfluchten Hochebene, dass es dem damaligen Talfürsten des Nimberluch-Tals, Ednul dem Bekenner, zu viel wurde. Er legte seinen Generationen dauernden Streit mit dem Fürstengeschlecht derer zu Endertal bei und führte eine vereinigte Streitmacht auf die Hochebene. Man erschlug jeden Menschen, den man dort vorfand und vernichtete alle widerwärtigen Tierkadaver am See-Ufer, derer man habhaft werden konnte. Danach ließ Ednul rund um den See heilige Stelen aus Holz aufstellen, auf dass nie wieder böse Magie aus seinen Wassern emporsteigen möge. Nachdem dies vollbracht war, setzte allgemeine Zufriedenheit ein und man machte sich daran, die alten Fehden wieder aufzunehmen (wie es sich gehörte). So war es lange Zeit ruhig um den Stuanach-See. Erst seit Kurzem häufen sich wieder unheimliche Vorgänge in den Bergen um die Hochebene herum. Reisende, einsame Senner und Wanderer verschwinden ebenso spurlos wie Vieh von der Weide. Für die Einheimischen liegt die Erklärung schnell auf der Hand – etwas steigt vom Stuanach-See herab und holt sich Opfer! Erste Nachforschungen ergaben, dass etliche der Stelen, die Ednul um den See hatte errichten lassen, umgestürzt oder verrottet waren. Die Instandsetzung der heiligen Holzsstelen stellte sich jedoch als Problem heraus – keiner der Einheimischen traut sich länger an das Ufer des Stuanach-Sees. Glücklicherweise fand sich schnell eine kleine Gruppe todesmutiger, heiliger Männer unter dem gelehrten Heiler und Laektor Ilgym Leynstum. Kaum, das die Vorfälle begannen, erklärten sich die schwarz gewandeten Wanderlaektoren aus der Brogaerne bereit, sich der Sache anzunehmen. Sie zogen in eine uralte Hütte nahe des Sees, um dort Wache zu halten. Flugs machten sie sich daran, die Stelen auszubessern und, wenn nötig, zu erneuern. Man atmete auf im Tal. Was die Einheimischen jedoch nicht wissen, ist das Leynstum und seine Getreuen die Ursache für das Verschwinden von Mensch und Vieh sind und nicht, wie angenommen, der See. Leynstums Trüppchen illusterer Mystiker, Gelehrter und Asketen gehrte zu einer kleinen, halb häretischen Gruppierung innerhalb der trisantischen Kirche, den sogenannten „Todeshorchern“. Die Todeshorcher sind besessen von dem Gedanken, das Leben nach dem Tode zu erforschen. Sie führen zu diesem Zweck allerlei seltsame spiritistische Experimente durch. Ihre Glaubensstütze widersprechen der allgemein gültigen trisantischen Doktrin zwar nicht und Nekromantie in Form von Geisterbeschwörung ist nicht verboten, aber die einseitige Jenseitszentrierung der Todeshorcher wird von kirchlichen Autoritten missbilligt.
Leynstum und seinen Getreuen jedoch waren die milden, okkulten Rituale der Todeshorcher nicht mächtig genug, um die Mysterien der Totenwelt zu ergründen. In alten Folianten entdeckte Leynstum im letzten Jahr detailierte Berichte über den Stuanach-See, seine hypothetischen Kräfte und die mythischen Rituale, mit denen die Hexer angeblich die Tiermumien zum Leben erwecken konnten. Er war begeistert! Endlich, so schien ihm, lagen die Geheimnisse des Todes in greifbarer Nähe. Er sammelte seine Assistenten um sich und machte sich auf zum Stuanach-See. Wenn er erst dessen nekromantische Kräfte unter Kontrolle hätte, würde er nicht nur wissen, wie das Jenseits beschaffen wäre, sondern er würde auch über die mächtigste Medizin verfügen, die ein Heiler sich nur vorstellen konnte. Eine Medizin, mit der man Tote wieder erwecken konnte! Was wäre das für ein Segen für die Menschheit! Vor Ort angekommen, ergab sich für Leynstums „Leichenwecker“, wie sich die Gruppe nun nannte, aber ein Problem – sie hatten vergessen, dass sie für Experimente mit Nekromantie auch Leichen brauchten. Nach vielem Hin und Her entschied man schließlich, einen einsamen Wanderer human zu vergiften und mit dessen Leiche zu arbeiten. Moralisch verwerflich wäre dies, so einigte man sich, im vorliegenden Falle nicht, denn der Wanderer würde ja wiederbelebt, so bald man das Leichenwecken perfektioniert hätte. Mittlerweile haben die Leichenwecker die 19. „Versuchsperson“ gemeuchelt und im See mumifiziert. Nennenswerte Erfolge beim Tote erheben haben aber noch nicht eingestellt. Einigen der Leichenwecker keimt mittlerweile zaghaft ein übler Gedanke: Was, wenn das Wasser des Stuanach-Sees statt Zauberkräften einfach nur sehr, sehr viel Natron enthält?

Aspekte:

  • See der schweigenden Leichen
  • Natron, Schwefel, Ammenmärchen
  • Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert

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