Die Fragmente

Malmsturm – Die Fragmente: Die Gärten des Imperiums

Die wenigen Ausländer, die das Imperium betreten, fragen sich meistens sehr schnell, wie die Bewohner des uralten Riesenreiches es schaffen, ihre gigantischen Metropolen mit einer ausreichenden Menge an Nahrungsmitteln zu versorgen. Das heiße, trockene Klima der weiten imperialen Ödländer sollte ertragreiche Landwirtschaft eigentlich verhindern und die vergleichsweise wenigen Felder entlang der Kanäle und der Küsten dürften kaum ausreichen, den Hunger so vieler Millionen zu stillen. Dieses, für Waismärker oder gar Nordländer so unlösbar scheinende Problem wurde bereits vor Jahrtausenden durch die geniale Wissenschaft früherer imperialer Epochen beseitigt. Statt offene Felder anzulegen und sich auf Wind und Wetter zu verlassen, haben die Imperialen riesige  Türme und Kavernen angelegt , in denen unter kontrollierten Bedingungen Obst und Gemüse angebaut werden. Auf dutzenden von Stockwerken finden sich übereinander zahlreiche Felder, Obstgärten und Gewächshäuser. Trickreiche Mechanismen zerlegen den Unrat aus der Kanalisation in seine alchimischen Bestandteile. Durch uralte Filter und Reaktoren werden Gifte aus dem Abwasser entfernt und die Überreste zu hochpotentem Dünger verarbeitet. Kunstvoll gefertigte Kristallsäulen leiten das Licht der Sonne selbst in tiefste Tiefen hinab um die Gärten mit Helligkeit zu erfüllen. Komplexe Belüftungs-, und Heizungs- und Kühlungsanlagen sorgen stets für die optimale Temperatur. Ohne Zweifel – die Gärten des Imperiums sind ein Wunder! Theoretisch könnten die Turm- und Höhlengärten so viele qualitativ hochwertige Nahrungsmittel produzieren, dass selbst die ärmsten Bürger niemals Hunger oder Mangelernährung zu erleiden hätten. Praktisch wird das allerdings durch die verbreiteten Standesdünkel und die Geheimniskrämerei der Gilden verhindert. Die meisten der kongenialen Gartenanlagen wurden bereits vor Jahrtausenden errichtet und zeigen nur zu oft Ausfallerscheinungen. Die Technosophen können und wollen nicht genug Personal zur Verfügung stehen, um die reibungslose Funktion aller Gärten gewährleisten zu können. Man sieht das gemeinhin auch überhaupt nicht als Problem an. Das technosophische Personal, dass für die Wartung der Gartensysteme zuständig ist, setzt seine Prioritäten nach dem gesellschaftlichen Status des Stadtviertels für das die jeweiligen Gärten zuständig sind.

Die gigantischen Anlagen, von denen die Slums mit Nahrungsmitteln versorgt werden, sind in der Regel in katastrophalem Zustand. Ausgebildete Technosophen schauen hier nur alle paar Jahre nach dem Rechten, um nur das Nötigste instand zu setzen. Viele der kristallinen Lichtleitungen sind im Laufe der Jahrhunderte so erblindet, dass sie kaum mehr Licht liefern. Oder man hat sie im Zuge planloser Bautätigkeit einfach zugemauert. So herrscht in den Slumgärten tagsüber nur fahles Dämmerlicht. Die meisten Kühlsysteme sind schon seit Jahrhunderten nicht mehr in Betrieb, so dass die Gärten durch die Wärme der vielen, Kompost und Dünger erzeugenden Bioreaktoren überheizt sind. Auch die automatischen Verteiler, die den Unrat aus der Kanalisation in die Reaktoren leiten, sind oftmals nicht mehr in einwandfreiem Zustand. Was die Verteiler nicht mehr liefern können, wird von unzähligen Arbeitern mit Eimern und Schubkarren in die Reaktoren geschüttet. Meist an den (ohnehin nicht mehr funktionierenden) Giftstofffiltern vorbei, was dafür sorgt, dass der entstehende Dünger eine erhebliche Menge fragwürdiger alchimistischer Substanzen enthält. Herkömmliches Obst und Gemüse lässt sich unter diesen Bedingungen kaum mehr anpflanzen. Man hat sich daher auf die Züchtung verschiedenster Pilze verlegt. Vor allem der melonengroße Kloakenröhrling, der überall wuchernde Suppenschimmel und der süßlich schmeckende Kellerschwamm lassen sich in rauen Mengen kultivieren. Die einseitige Ernährung und die hohe Giftstoffbelastung der Pilze sorgt zwar für allerlei Krankheiten bei den Ärmsten, aber wenigstens wird man satt. Meistens zumindest.
Die geernteten Pilze werden in angeschlossenen Märkten verkauft oder den Arbeitern als Teil der Bezahlung mit nachhause gegeben. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Slumgärten auch von kriminellen Banden zum Herstellen von pilzbasierten Drogen missbraucht werden. So lange die richtigen Stellen der Stadtverwaltung dafür bestochen werden, ist das für niemanden ein Problem.

Die Türme und Höhlen, die die mittelständischen Gilden versorgen, sind in erheblich besserem Zustand. Sie werden in aller Regel von einem festen Stab an Technosophen betreut. Die meisten grundlegenden Systeme arbeiten einwandfrei und werden regelmäßig gewartet. Das sorgt dafür, dass den Gilden stets eine breite Palette verschiedener Obst und Gemüsesorten zur Verfügung steht. Mutagenfrei versteht sich! Tatsächlich werfen die Gildengärten so viel ab, dass die Haushalte der großen Adelshäuser ihren Bedarf an „Hausmannskost“ ebenfalls durch die Gildegärten decken. Minderwertige Ausschussware findet sich auf den Märkten der Ärmsten wieder.
Auf automatisierte Arbeitsabläufe muss man allerdings verzichten. Wie in den Pilzgärten der Ärmsten sorgen Heerscharen von Arbeitern für die Betreuung der Pflanzen. Allerdings gelten weit strengere Sicherheitsbestimmungen. In den Slumgärten würde es niemanden stören, wenn einer der Sklaven während der Arbeit etwas Suppenschimmel kaut. In den Gärten der Gilde jedoch wäre es schon 50 Stockhiebe durch das allgegenwärtige Sicherheitspersonal wert, nur eine einzelne Erdbeere zu naschen. In einigen Fällen wurde Gemüsediebstahl sogar schon mit Erhängen und anschließendem Kompostieren im Bioreaktor bestraft. Aus diesen Gründen basieren die Gildengärten weit eher auf Sklavenarbeit als auf freien Arbeitern. Letztere arbeiten lieber in den Slumgärten. Dort ist der Lohn nicht niedriger und die Behandlung ist bei Weitem besser.
Den Gärten angeschlossen sind meist gut ausgestattete Großraumküchen, die viele der geernteten Erzeugnisse gleich an Ort und Stelle verarbeiten. Diese Küchen beliefern nicht nur die Kantinen größerer Gildenmanufakturen, sondern unter Umständen auch Privathaushalte mit Pasteten, vorgefertigten Suppen und Ähnlichem. Diese „Fertiggerichte“ gelten den Gildenmitgliedern zwar als minderwertiger als ein Essen, dass zuhause frisch vom Dienstpersonal gekocht wurde, haben sich im Arbeitsalltag aber als ungemein praktisch erwiesen.

Das wahre Potential der imperialen Gartentechnologie zeigt sich in den Gärten der Adelshäuser. Diese sind gut gewartete Wunder der Wissenschaft. Rund um die Uhr kümmern sich (überbesetzte) Trupps von Technosophen um jedes Detail der komplexen Gärten. Die Mechanismen sind hier so ausgefeilt, dass man in geschlossenen Räumen nahezu jede nur denkbare klimatische Bedingung künstlich erzeugen kann. Ob künstliches Dschungelklima oder eine synthetische Taiga für die Herstellung von kostbarem Moosbeeren-Eiswein – die Palette der Möglichkeiten ist gigantisch! Auf diese Art und Weise können Adelshäuser ihren  Hunger nach exotischen Leckereien befriedigen, ohne zu viele Kontakte mit der Welt außerhalb des Imperiums halten zu müssen. Längst werden in den Gärten des Adels nichtmehr nur „natürliche“ Pflanzen nachgezüchtet. Sowohl Alchimisten als auch Magier nutzen die Möglichkeiten, die ihnen die kontrollierbare Umgebung der Gärten bieten, um ausgiebig mit der Schöpfung zu experimentieren. Es ist eine regelrechte Mode, im eigenen Garten die seltsamsten Neuzüchtungen zu erschaffen. Ständig werden die Bankette der Edlen mit neuen, absonderlichen Früchten überschwemmt. Einige dieser Neuschöpfungen sind banal, wie etwa die schwarzweiß gestreifte Zebramirabelle, die sich von ihrer Färbung abgesehen in nichts von einer normalen Mirabelle unterscheidet. Einige sind gefährlich wie die silberglänzenden „Nüsse der Eingebung“, die zwar einen himmlischen Geschmack haben, von denen aber jede zehnte dauerhafte Wahnvorstellungen hervorrufen kann. Und wieder andere sind schlicht albern, wie die singenden Birnen von Dardamos. Manchmal entsteht durch die Experimente der Adeligen aber etwas von Wert für die Allgemeinheit. Der antibiotisch wirkende Saft der Goldkirsche, der zu den mächtigsten Heilmitteln der imperialen Medizin gehört, ist so ein Fall.
In einigen Fällen haben Magier sogar nicht nur einzelne Lebensformen verändert, sondern ganze synthetische Ökosysteme erschaffen. Manche dieser Experimente dienten dazu, kostbaren Daemonen passende Habitate zu erschaffen. Wieder andere dazu, das Wesen der Natur besser zu verstehen. Kommen diese künstlichen Welten aus irgend welchen Gründen in zu engen Kontakt mit der Außenwelt, kann es zu Katastrophen kommen. Mindestens eine Pest soll vor dem Exzellenten Exil dadurch entstanden sein, dass künstliche Graspollen aus einem Experimentalgarten entwichen. Der Maßstab, in dem diese Ökosysteme erschaffen und kontrolliert werden können, ist überschaubar. Die größte bekannte Gartenanlage mit künstlichem Ökosystem ist der etwa zwei Quadratverst große „Wald der Yhrmyl“ in  Anosia – eine Ansammlung bizarrer, fleischfressender Tier-Pflanzenhybriden. Das Adelsgeschlecht der Yhrmyl nutzt den Garten seit Generationen zur Züchtung einmaliger Monstrositäten für Gladiatorenkämpfe.

Aspekte:

  • Gemüse für Millionen
  • Jahrhunderte weiter
  • Mauer, Dung und Dampf
  • Natur im Glas

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